In Zusammenarbeit mit Duitslandnieuws.nl
Original (in NL): https://ulrikenagel.nl/2016/07/duitsland-of-nederland-waar-bevalt-het.html
Kürzlich ist in den Niederlanden die Diskussion über Schwangerschaft und Geburt wieder in vollem Gange. Sind wir in den Niederlanden ein Vorbild für andere Länder, oder läuft es beispielsweise in Deutschland besser? Die Journalistin Ulrike Nagel hat inzwischen Erfahrungen mit Schwangerschaften in beiden Ländern gesammelt. Ihrer Meinung nach können wir voneinander lernen. Sie ist deutscher Herkunft, hat aber viele Jahre in den Niederlanden gelebt und gearbeitet. Dort bekam sie zwei Kinder. Seit vier Jahren lebt sie nun wieder in Berlin und ist inzwischen Mutter eines dritten Kindes geworden. Sie kann die Gesundheitsversorgung und die Kultur rund um die Schwangerschaft in beiden Ländern gut vergleichen. Was gefällt ihr besser?

Du hast bereits zwei Geburten in den Niederlanden erlebt, obwohl du in Deutschland aufgewachsen bist. Hast du damals Dinge erlebt, die du als Deutsche seltsam fandest?
Als ich 2007 feststellte, dass ich schwanger war, ging ich zu meiner Hausärztin in Utrecht und erwartete, dass etwas passieren würde. Sie saß mit einer kleinen Scheibe vor mir, mit der man das Datum berechnen kann, und gratulierte mir. Und vorläufig würde nichts passieren, sagte sie. „Suchen Sie sich eine Hebamme und melden Sie sich in ein paar Wochen wieder bei ihr. Nein, wir überprüfen nicht, ob Sie wirklich schwanger sind, das macht der Schwangerschaftstest schon zu 99 %.“ Das hat mich zwar überrascht, aber ich habe es einfach so hingenommen, wie sie es gesagt hat. Da ich aus Deutschland kam, wusste ich damals noch nicht wirklich, wie es dort läuft, denn ich war eine der ersten in meinem (sowohl deutschen als auch niederländischen) Freundeskreis, die ein Kind bekam, und ich lebte damals schon fast zehn Jahre in den Niederlanden.
Also suchte ich mir eine Hebammenpraxis und ging regelmäßig dorthin. Der gesamte Ablauf – Ultraschalluntersuchung in der 9./10. Woche, um das genaue Datum zu bestimmen, Ultraschalluntersuchung in der 20. Woche, Wiegen, Blutdruckmessen und vor allem Herz hören, 3D-Ultraschalluntersuchung in der 30. Woche – erschien mir logisch. Die Besuche bei der Hebamme waren immer recht kurz, was ich schade fand, denn in den Niederlanden ist man nach 5 bis 10 Minuten wieder draußen. Aber die Herangehensweise war immer sehr positiv und liebevoll, sie ging davon aus, dass ich gesund war, dass alles natürlich verlaufen würde, und genau das ist auch passiert. Ich wurde also mit beiden Kindern nie an einen Gynäkologen überwiesen, dafür gab es keinen Grund. Erst wenn Risiken bestehen würden, so lernte ich, wäre ein etwas „medizinischerer” Ablauf im Krankenhaus erforderlich.
Da bei mir beide Male alles sehr gut verlief, fand ich das alles auch sehr positiv.
Vor allem die Einstellung zur Geburt: Mir wurde sehr deutlich gemacht, dass ich selbst die Wahl hatte: ambulant entbinden (also nach der Entbindung im Krankenhaus schnell wieder nach Hause) oder zu Hause.
Dass man in den Niederlanden zu Hause entbinden konnte, fand ich als echtes Berliner Kind aus der Großstadt zunächst sehr seltsam. Das schien mir etwas für Dörfer zu Beginn des letzten Jahrhunderts zu sein, daher fiel meine natürliche Wahl auf das Krankenhaus. Als Deutsche denkt man einfach weniger schnell über so etwas „Unbekanntes” nach, das Krankenhaus scheint der sicherste Weg zu sein; wenn etwas passiert, kann schnell eingegriffen werden.
Und dann verlief die Geburt ganz anders als ich gedacht hatte: viel zu schnell. „Wir gehen nirgendwo mehr hin”, sagte die Hebamme bei der Geburt meines ersten Kindes, und ich stimmte ihr sofort zu, ich hätte nicht einmal mehr die Treppe hinuntergehen können. Die folgenden Stunden sind mir in Erinnerung geblieben – entgegen meinen Erwartungen fand ich die ganze Atmosphäre zu Hause fantastisch. Eine Hebamme kam hinzu, alle Sachen wurden aufgeräumt, ohne dass ich es bemerkte, mein Bett wurde wie in einem Hotelzimmer gemacht, alles war harmonisch und gut.
Deshalb entschied ich mich 3,5 Jahre später bewusst dafür, auch mein zweites Kind zu Hause zur Welt zu bringen. Ich hatte einfach ein wenig Angst davor, kurz vor der Geburt in ein Auto steigen zu müssen und dann möglicherweise unterwegs Schmerzen zu erleiden, mit dem Gedanken „Hauptsache, wir schaffen es, Hauptsache, wir schaffen es”. Zu Hause schien es mir entspannter zu sein, und das war auch beim zweiten Mal der Fall. Der Ansatz „Es ist etwas Natürliches, dein Körper kann das” hat mich immer angesprochen, er sorgt für viel mentale Ruhe, ich hatte nie Angst vor meinen Geburten in den Niederlanden.
Jetzt kommt das dritte Kind und du lebst seit ein paar Jahren wieder in Deutschland. Welche Unterschiede hast du bisher zu den Niederlanden festgestellt?
Auf jeden Fall geht man hier zunächst nicht zum Hausarzt, sondern direkt zum eigenen Gynäkologen. Das war ich von früher noch gewohnt, denn wenn man in Deutschland als Teenager die Pille nehmen möchte, muss man zwingend zum Gynäkologen, oder „Frauenarzt“, wie er hier meist genannt wird. Man muss einen Abstrich machen lassen, sich untersuchen lassen und erst dann bekommt man von der Arzthelferin das Rezept für die Pille. Und wenn man schwanger wird, geht man logischerweise in dieselbe Praxis. Daran war ich also wieder gewöhnt.
Allerdings war die Untersuchung sofort ganz anders. Und auch die Herangehensweise der Ärzte. Anstatt mir sofort zu gratulieren, fragte sie vorsichtig: „Ist es eine geplante Schwangerschaft?” Mir fiel auf, wie neutral diese Frage war und auch, dass die Ärztin nicht unbedingt fröhlich und begeistert von mir und meiner Neuigkeit war – es war, als wollte sie sich absichtlich zurückhalten. Dadurch spürte ich sofort die hierarchische Distanz zwischen „Arzt“ und „Patient“. Zunächst kam mir das weniger freundlich und mitfühlend vor, aber als ich weiter darüber nachdachte, fand ich es auch ziemlich logisch. Die Praxis befindet sich in einer Stadt mit fast 4 Millionen Einwohnern, und längst nicht jede Frau, die hier hereinkommt, wird sich über ihre Schwangerschaft freuen. Und so kann ein fröhliches „Herzlichen Glückwunsch“ bei jemand anderem völlig falsch ankommen. Und auf diese Erfahrung verlassen sie sich.
Was die Untersuchungen angeht, passiert viel mehr als in den Niederlanden. Gleich beim ersten Termin (da bist du meistens in der 5. oder 6. Woche schwanger) checken sie mit einem inneren Ultraschall, ob es wirklich stimmt, ob es eins oder mehrere sind und ob alles in Ordnung zu sein scheint. Man muss in einen Becher urinieren (und das muss man dann standardmäßig bei jedem Termin tun), denn der Urin wird auf pH-Wert, Proteine und Bakterien untersucht. Außerdem wird man genau gewogen und es wird nicht nur einmal, sondern öfter Blut abgenommen. Der Gynäkologe drückte mir eine Art Einkaufsliste in die Hand: Test auf Toxoplasmose, 15 Euro, ein zusätzlicher Ultraschall 60 Euro, und so gibt es noch viele weitere Tests, die man machen lassen kann. Das schien mir eine sehr gute Vorsichtsmaßnahme zu sein, aber mir wurde auch klar, dass eine solche Praxis mit jedem einzelnen Test einfach Geld verdient. Entweder bezahlt man privat oder die Krankenkasse erstattet die Kosten und bezahlt dann die Praxis. Das ist neben der Tatsache, dass das deutsche Gesundheitssystem extrem risikoscheu ist, einer der Gründe, warum Gynäkologen in Deutschland so viele Untersuchungen durchführen. Wenn etwas passieren kann, dann überprüfen wir auch, ob es möglicherweise passiert. Auch wenn wahrscheinlich nichts passiert. Aber man weiß ja nie. Schließlich.
Ab der 25. Woche wird man daher beispielsweise bereits eine Viertelstunde lang an ein Gerät angeschlossen, das misst, ob man Wehen hat. In den Niederlanden wäre das undenkbar, wenn man einfach zum Frauenarzt geht. Und ab etwa der 30. Woche messen sie mit einem CTG eine halbe Stunde lang die Herztöne des Kindes. Das erschien mir alles sehr übertrieben, auch weil sie einem eigentlich keine gute Erklärung geben, warum das alles notwendig ist. Bis ich einmal in der Praxis ein traurig dreinblickendes Paar vor mir sitzen sah. Sie waren sichtlich besorgt, und wenig später wurde die Frau tatsächlich auf einer Trage von einem Krankenwagen abgeholt. Ich versuchte etwas subtil herauszufinden, was los war: Sie war erst etwas mehr als 20 Wochen schwanger. In der Praxis hatten sie mittels Ultraschall festgestellt, dass das Kind viel zu klein war, und außerdem hatten sie bereits Wehen gemessen. Schlechte Nachrichten und daher sofort ab ins Krankenhaus. Seitdem frage ich mich, ob so etwas in den Niederlanden genauso schnell bemerkt worden wäre. Die Frau hatte Blutungen, und in den Niederlanden wird man in einem solchen Fall normalerweise erst einmal nach Hause geschickt. Hier nicht, eine gute deutsche Freundin hat einmal eine ganze Woche damit im Krankenhaus verbracht, obwohl nichts zu beanstanden war.
Zwei Dinge sind dabei zu beachten: Einerseits wird man durch all den Trubel, all die Untersuchungen, all die Dinge, die passieren können, verunsichert. Die Geburt wird weniger natürlich und bekommt einen medizinischen Charakter. Man traut sich weniger, auf den eigenen Körper zu vertrauen. Andererseits können Ärzte viel schneller handeln, wenn tatsächlich etwas nicht in Ordnung ist.
In den Niederlanden ist diese Diskussion derzeit sehr aktuell, und auch ich kenne Freunde und Bekannte in den Niederlanden, die ihr Kind noch vor der Geburt verloren haben. Oft wissen sie nicht, warum, und es kann auch nicht richtig untersucht werden. Und obwohl ich die niederländische „natürliche” Methode immer sehr gut gefunden habe, bin ich nun doch etwas skeptischer geworden, ob das deutsche „Monitoring” wirklich so schlecht ist.
Auf jeden Fall ist es sehr teuer, was hier manchmal aus dem Ruder läuft. Aber als Elternteil, das möglicherweise einem etwas höheren Risiko ausgesetzt ist, profitiert man wahrscheinlich besonders davon.


Da ich zwei Kinder zu Hause bekommen habe, habe ich auch hier keine große Lust auf eine Krankenhausgeburt. Das ist zwar absolut die Norm (aber nur etwa 3 % der deutschen Frauen gebären zu Hause und es gibt landesweit nur etwa 380 Hebammen, die Hausgeburten begleiten), aber erstens hat man die Wahl, in welchem Krankenhaus man entbinden möchte (das scheint wirklich eine Wissenschaft zu sein, wenn ich anderen Schwangeren zuhöre, die ganze Nachmittage und Tage damit verbringen, herauszufinden, welches Krankenhaus das beste ist), und man kann auch andere Varianten wählen, zum Beispiel ein Geburtshaus, eine Zwischenform zwischen zu Hause (gemütlich, heimelig, warm) und dem Krankenhaus. Es gibt mehrere Optionen, und jeder wählt das, was sich für ihn am besten anfühlt.

Ich habe mich auf die Suche nach einer Hebamme gemacht, die Hausgeburten begleitet, aber davon gibt es nur sehr wenige. Die Hebammenpraxen, die ich angerufen habe, sagten mir oft: Wir kümmern uns nur um die Vorbereitung der Geburt und die Nachsorge, aber die Entbindung selbst übernehmen wir nicht. Das liegt an einer extrem teuren Versicherung, die Hebammen hier abschließen müssen. Pro Jahr zahlen sie 4000 Euro oder mehr, um sich gegen die Risiken der Geburt zu versichern – für sehr viele Hebammen einfach unerschwinglich. Deshalb geben viele ihren Beruf auf, und er stirbt in Deutschland aus. Oder man muss als Hebamme im Krankenhaus arbeiten – aber das will längst nicht jeder, erzählt mir meine eigene Hebamme, die daher eher die „natürliche” Variante bevorzugt und mir regelmäßig erzählt, wie übertrieben sie den medizinischen Ansatz in Deutschland findet.
Für meinen Körper ist diese natürliche Methode in Ordnung. Und doch, und doch. Wenn ich ihr ein Ultraschallbild zeige, reagiert sie kaum darauf, weil sie auch findet, dass viel zu viele Ultraschalluntersuchungen gemacht werden. Sie fühlt, wie das Kind liegt, sie misst meinen Bauch und meine Gebärmutter (übrigens wirklich mit einem Maßband), sie hört die Herztöne ab und nimmt sich jedes Mal eineinhalb Stunden Zeit für eine Beratung. Das dauert mir oft etwas zu lange, denn oft verstricken wir uns auch in Diskussionen darüber, wie es in den Niederlanden läuft (das scheint ihr besser zu gefallen) und dass es in Deutschland viel zu viele geplante Kaiserschnitte gibt oder dass man hysterisch reagiert, wenn man nur einen Tag über dem Termin liegt. Nur dass in den Niederlanden kein Urin kontrolliert wird – das versteht sie überhaupt nicht, denn das ist eine ganz einfache Methode, um beispielsweise eine Schwangerschaftsvergiftung festzustellen. Mittlerweile verstehe ich auch nicht mehr, warum das in den Niederlanden nicht gemacht wird. Und eine halbe Stunde lang die Herztöne des Babys abhören – auch das macht sie in ihrer kleinen Praxis.

