Brigitte.de Blog: Alle sind gleich?

Oorspronkelijk gepubliceerd op Brigitte.de weblog “In the dutch mountains” — http://blog.brigitte.de/holland/

Heute Morgen beim Frühstück mit Hagelslag lese ich in der Zeitung: Eine neue Untersuchung des holländischen Sozialkulturellen Planbüros hat ergeben, dass die Holländer ihrer derzeitigen Regierung nicht vertrauen. Weniger als 40% der Bevölkerung sind mit dem Kabinett aus CDA (CDU), VVD (FDP) und D66 (Demokraten) zufrieden. Warum? …

Der auch hier notwendige Abbau des Sozialstaates passt ihnen nicht, aber vor allem wünschen sich 61% “mutige, unermüdliche und ergebene Führer” in der Politik. Vor vier Jahren wollten das nur 33% der Holländer.

Eine Menge aktueller Zahlen für ein besonderes Phänomen: Bis vor kurzem waren in Holland immer alle Menschen gleich. Auch die Politiker durften immer nur auf der gleichen Stufe stehen wie der ‘Otto-Normalverbraucher’ (der hier ‘Jan Modaal’ heißt). Ein Mercedes oder Audi als Dienstwagen wurde äußerst ungern gesehen, der Justizminister fuhr regelmäßig im Anzug auf dem Fahrrad vor; erst dann fanden die Holländer ihn auch sympathisch. “Der ist ja wie wir”, war dann ein oft ausgesprochenes geflügeltes Wort.
Für Autorität bekommt man hier auch jetzt noch kein Abzeichen; erst wenn man sich auf das Niveau des Durchschnitts begibt, wird einem Politiker, Fußballer, Medienstar oder Schauspieler Respekt gezollt. ‘Führer’ – das Wort hört man hier aus den bekannten Gründen schon mal gar nicht gern und bis jetzt wurde auch auf ‘politische Führer’ nie besonders viel Wert gelegt. Man hatte ja das Poldermodell.

Ich wusste lange nicht, was das Wort eigentlich bedeutet. Zusammen mit meiner einzigen deutschen Freundin hier haben wir öfter mal eine Definition gesucht und nie gefunden, aber irgendwann hat es mir dann doch jemand erklärt: Es bedeutet nichts weiter, als alles ständig miteinander abzuwägen. Entscheidungen werden nicht von einem Einzelnen gefällt, sondern von der gesamten Gruppe. Opposition hin oder her; die holländische Politik kennt einige Nächte, in denen so lange durchdiskutiert wurde, bis ein Kompromiss gefunden war.
Das änderte sich schlagartig im Jahr 2002, als Pim Fortuyn auf der Bildfläche erschien und als extrovertierte Einzelperson Chaos in die geordneten Parteien brachte. Sich als erster traute, den Mund weiter aufzumachen und die Wohnzimmersorgen der Holländer kurz und ein wenig zu prägnant und einseitig zusammenzufassen. In Deutschland war das Bild des weltoffenen Hollands dahin, die weithin gerühmte Toleranz, die es in den Häusern der Holländer oft schon nicht mehr gab, bekam auch hierzulande einen Knick.

Seit dem ersten politischen Mord haben sich die Fronten weiter gehärtet; ein zweiter Mord kam letzten November hintenan, und seitdem fliegt das Word ‘allochtoon’ durch alle Medien. Laut offizieller Definition ist das ein Wort für einen Bürger (ob er nun eingebürgerter Holländer ist oder nicht), dessen Vater oder Mutter aus einem anderen Land kommt. Ich bin also auch ein ‘allochtoon’, aber zumeist werden jetzt nur noch die ‘niet-westerse’ (nichtwestlichen und Nichteuropäer) gemeint. Holland mutiert ganz langsam zu einer ‘wir’-und’-‘sie’-Kultur. Die Marokkaner schlagen die meisten Autoscheiben ein, radikalisieren und werden zu Terroristen, die Türken benehmen sich nicht ordentlich genug, die Antillianer bringen zu viele Drogen ins Land – das sind die oft gehörten und manchmal, aber nicht immer, berechtigten (Vor)Urteile.

Also, Chaos pur, jetzt sind alle auf einmal überhaupt nicht mehr gleich, und in all der Verwirrung wendet sich der sonst so individuelle Holländer auf einmal an die Regierung und verlangt eine starke Führung. Ganz entgegen seiner Natur. Hart durchgreifen müsse man jetzt, all die Dinge, die so lange toleriert wurden, rückgängig machen, die Geschichte vergessen und nur noch im Hier und Heute denken und handeln.

Wenn es jetzt um die Politik, die Sicherheit und die Ausländer geht, hat sich das ‘alle sind gleich’ gewandelt in ein ‘nur noch bestimmte Gruppen sind gleich’. Und trotzdem tun sich die Holländer schwer mit dieser Erkenntnis. Weil sie doch so gerne möchten, dass alle wieder so gleich sind wie früher. Und weil die Welt jetzt nicht mehr so einfach ist wie früher, muss auf einmal auch eine politische Führung her. Aber die muss dann wahrscheinlich trotzdem noch auf dem Fahrrad kommen.

Ulrike Nagel: Dienstag, 6 September 2005, 15:20 Uhr | Permalink

Kommentare

Interessant, wie weit die Toleranz mancher sogenannter “weltoffener” Menschen oftmals reicht – nämlich genau so weit, wie diese Toleranz einfach und “bequem” ist. Sobald sie aber mehr verlangt, eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Werten, Kuluturen oder Lebensweisen fordert, wird Toleranz dann doch zu anstrengend.
Ich glaube, das ist nicht nur ein holländisches Phänomen …

Kommentiert von: Jenny | Mittwoch, 7 September 2005, 10:09 Uhr

Das Wort Toleranz kann ich langsam nicht mehr hören. Ich bin grundsätzlich ein toleranter Mensch, aber seitdem ich nach beschaulichen Jahren an der deutsch-holländischen Grenze nun schon einige Zeit in einer (deutschen) Großstadt lebe, hat meine Toleranz erheblich gelitten. Ich erlebe leider immer wieder und zunehmend, dass ausländische oder eingebürgerte Menschen sich oft unangemessen verhalten und die Spielregeln dieses Landes mit Füßen treten. Gestern noch habe ich erlebt, wie ein älterer Mann von einem Ausländer oder Eingebürgertem gestoßen wurde. Der ältere Mann wollte aus einem Zug aussteigen, der Andere konnte nicht warten und stieg schon ein. Der ältere Mann fragte etwas verärgert, ob er nicht erst aussteigen könne. Daraufhin hat ihn der andere (junge) Mann gestoßen. Ich habe dann zu dem ausländischen Mann gesagt, er solle doch die Leute erstmal aussteigen lassen. Daraufhin er: Der Mann wäre unfreundlich zu ihm gewesen. Was nur bedingt stimmte. Ich meinte daraufhin, er hätte den Mann nicht aussteigen lassen. Erst als der ausländische Mann merkte, dass auch anderen sein Verhalten missfiel, wurde ihm die Sache zumindest ein bisschen unangenehm.
Alle müssen solchen Leuten Grenzen setzen. Leider wird viel zu oft nichts gesagt. Und natürlich gilt dasselbe auch für Deutsche, die sich so verhalten.

Kommentiert von: Chiara | Mittwoch, 14 September 2005, 9:32 Uhr