Oorspronkelijk gepubliceerd op Brigitte.de — http://blog.brigitte.de/holland/
Bekanntlich stehen die Niederländer mit dem Gesicht in Richtung Großbritannien und haben den Rücken Deutschland zugekehrt. So ab und an ändert sich das dann plötzlich, die Korrespondenten der Nachrichtensender stehen auf einmal wieder vor dem Reichstag und die Radioreportagen erzählen von den Nöten der Deutschen. Es ist Wahlkampf, nur noch eine Woche Zeit und das hat man hier inzwischen auch mitbekommen.
Heute Morgen auf dem Fahrrad genoss ich die Reisereportage von Wouter Meijer, Reporter unseres Nachrichtensenders Radio 1. Er reist eine ganze Woche lang die Bundesstraße 1 (B1) entlang, von Aachen bis Berlin. Am 18. September muss er dort ankommen, wenn alles gut läuft, und zwischendrin nimmt er die (Wahl-)Sorgen der Deutschen mit. So sprach er heute Morgen mit Minenarbeitern, den Kumpels, die Angst haben vor Subventionskürzungen. Untertage ist eh schon alles maschinell und die Kumpel aus Hamm können sich auch nicht wirklich vorstellen, jemals etwas anderes zu machen.
Letzte Woche waren die Grenzpendler dran. Jochen Hedeus, 24 Jahre alt und aus Aachen, arbeitet als Maler und Lackierer in Holland. Zu Hause kriegt er keine Arbeit. Nicht weil sie nicht da wäre, sondern weil ihn keiner einstellen will. Zu hohe Lohnnebenkosten; die Betriebe haben Angst, Verträge abzuschließen aus denen sie nicht mehr herauskommen. Also stellen sie überhaupt keine Leute ein. Jochen Hedeus arbeitet lieber über eine Zeitarbeitsfirma als gar nicht, sagt aber, dass viele Deutsche damit ein Problem haben. Sie nehmen Arbeit oft nur an, wenn sie einen festen Vertrag angeboten kriegen. Außerdem findet er die Holländer viel persönlicher als die Deutschen.
Die fehlende Flexibilität der Deutschen überrascht die holländischen Medien immer wieder. Die nötigen Veränderungen wurden hier (ähnlich wie in Skandinavien) bereits vor 20 Jahren eingeleitet und die Zeitarbeitsfirmen sind eine holländische Erfindung (interessant für die Menschen, die sich schon immer mal gewundert haben über die Schilder von ‘Randstad‘ oder ‘Adecco‘, die gibt es hier an jeder Straßenecke).
Als Studentin fand ich im zweiten Studienjahr heraus, dass ich die staatliche Studienfinanzierung als EU-Bürger nur erhalte, wenn ich auch etwas zur niederländischen Wirtschaft beitrage. Ich ging also arbeiten. 32 Stunden im Monat. Erst über eine Zeitarbeitsfirma. Die wirklich dämlichen Arbeiten sind mir erspart geblieben, ich habe nie in einem Callcenter arbeiten müssen, keine Pflanzen eintopfen müssen und auch keine Bücher eingebunden. Dafür hab ich drei Wochen lang jeden Tag einige Stunden lang Daten in einen Computer eingegeben. Danach fand ich einen Job als Übersetzerin und bekam sogar einen 8-Stunden-pro-Woche-Vertrag. Mein Konto war damit gerettet.
Und meine Einstellung zur Flexibilität hat sich seitdem auch geändert. Es ist in diesem Land völlig normal, dass man als 13jähriger bei Wind und Regen um 7 Uhr morgens Zeitungen austrägt, als 16jähriger nebenbei an Donnerstagabenden und Samstagen in einem Laden aushilft (und das jede Woche regelmäßig!), oder hinter der Kasse eines Supermarktes sitzt. Studenten arbeiten als Barmann/-frau, schmieren Brötchen beim Bäcker oder führen ihren Supermarktjob im Wohnort ihrer Eltern noch ein, zwei Jahre fort. Auch in den Ferien wird gearbeitet. Ein Jugendlicher ohne Nebenjob ist ein Exot und ihm wird schnell Faulheit oder unnützer Reichtum vorgeworfen.
Ähnlich geht es nach dem Studium weiter. Auch wenn man erst mal keinen Job in der eigenen Fachrichtung findet, arbeitet man noch eine Weile als Kellner weiter. Oder setzt sich für eine Zeitarbeitsfirma in ein Callcenter. Hauptsache, man verdient was und hat nebenbei genug Zeit, sich zu bewerben.
Die normalste Sache der Welt.
Wenn ich dann mit meiner Oma in Deutschland telefoniere und ihr begeistert von meiner Errungenschaft erzähle, einem Jahresvertrag als Redakteurin, antwortet sie: “Aber Kind, das ist ja kurz… wie geht das denn im nächsten Jahr? Du brauchst doch einen festen Vertrag?” Ihre Sorge um mich finde ich schmeichelhaft, aber unnötig. Die Flexibilität hat sich hier nicht nur in den Arbeitnehmern festgesetzt, sondern auch in den Arbeitgebern. Den nächsten Job finde ich ganz bestimmt und eventuell kann ich zwischen den Verträgen ein paar “niedere” Arbeiten verrichten.
Diese Flexibilität fehlt vor allem den deutschen Arbeitgebern. Die große Frage: Kann die Politik nach der Wahl am nächsten Sonntag was verändern? Oder ist es doch nur eine Mentalitätsfrage?
Meine Stimme für den 18. liegt schon im Briefkasten und mein Jahresvertrag wird am Donnerstag zum dritten Mal verlängert. Mach dir keine Sorgen, Omi!
Ulrike Nagel: Montag, 12 September 2005, 16:42 Uhr | Permalink
Kommentare
Mein Jahresvertrag wird am Donnerstag zum dritten Mal verlängert. ( Aber zum vierten Mal geht’s nicht. Das ist beim Gesetz verboten )
Kommentiert von: Wilhelm | Mittwoch, 14 September 2005, 12:18 Uhr
Stimmt, Wilhelm. Es gibt das ‘Flexwet’, nach dem ein Arbeitgeber nur dreimal einen Vertrag verlängern darf und danach einen festen Vertrag abschliessen muss. Meistens fliegt man dann aber raus, zumindest beim Rundfunk. Aber wenn ich Glück hab’, krieg ich einen neuen Vertrag mit einer anderen Funktion und dann kann ich die nächsten drei Jahre auch noch durchkommen. Wenn ich nicht vorher auch andere Erfahrungen anderweitig machen möchte und die Möglichkeit ist sehr wahrscheinlich.
Kommentiert von: Ulrike | Mittwoch, 14 September 2005, 12:27 Uhr
Gar keine Einwände dagegen, dass man bei der Zeitarbeit für den vollen Job die Hälfte des Gehalts bekommt (die andere Hälfte sackt sich nämlich die Zeitarbeitsfirma ein)?
Kommentiert von: Sabine | Mittwoch, 14 September 2005, 13:58 Uhr
Nein; besser ein kleineres Gehalt als gar kein Gehalt. Damit haben die Holländer keine Probleme. Zumindest als Studenten. Wenn es um einen vollen Job geht und man älter ist, wird das schon eher ein Problem. Dann möchten auch die Holländer einen Job mit Vertrag. Aber es ist immer gut für eine Überbrückungszeit. (Ausserdem sammelt man Erfahrungen, die hier in Holland bei den Arbeitgebern meist gut ankommen)
Kommentiert von: Ulrike | Mittwoch, 14 September 2005, 14:17 Uhr
Hallo…Sehr interessant und anregend. Tja, dann denke ich, daß unsere Mentalität in Deutschland wirklich etwas altbacken geworden ist. Quereinsteigern wird es hier schwer gemacht, denn wer nimmt hier schon eine Krankenschwester als Verkäuferin…(In Dänemark übrigens auch normal, hab ich gehört: kleine Schulung und ab geht die Post..) Vielleicht ist es in 20 Jahren auch flexibler hier (sind spät dran 😉 ), aber daran müssen wir alle arbeiten.Vorstellen könnte ich es mir persönlich schon. Auf gehts!!!
Grüßli, HeikeKommentiert von: Heike | Dienstag, 1 November 2005, 18:38 Uhr